SAG' JA ZU DIR

30 Jahre verheiratet – ist das erstrebenswert?

Ich möchte die Frage einer jungen Frau und meine Gedanken und Erfahrungen dazu mit euch teilen.

Die Beziehung zwischen mir und meinem Mann hat sehr liebevoll und romantisch begonnen, mit vielen guten Vorsätzen und dem sicheren Gefühl: wir schaffen das. Nichts steht zwischen uns. Während ich noch längere Zeit auf dieser rosa Wolke schwebte, war mein Mann realistischer: das ist eine Traum- und Wunschwelt. Aber ich wollte sie mir nicht nehmen lassen – ich glaubte an die Liebe.

Wir kämpften und resignierten, hielten an alten Vorstellungen von Liebe fest und stellten fest, dass die Kluft zwischen uns häufig ziemlich groß war. Das Leben ließ uns wenige Atempausen, forderte uns heraus – da war die Beziehung oft nicht so wichtig.

Wir erlebten schöne gemeinsame Augenblicke und das Wissen um eine tiefe Liebe, die wir als Fundament wahrnahmen, auch wenn wir sie oft nicht spüren konnten.
Gleichzeitig waren wir (unbewusst) geprägt von alten Vorstellungen, familiären Wünschen, gesellschaftlichen Prägungen, Prägungen aus der Kindheit, …
Die Herausforderungen des Lebens hielten uns zusammen. Manchmal verband uns die Angst vor der Zukunft, wenn all das, was uns gehalten und getragen hatte, auseinanderbrechen würde. Ein Zauberwort war viele Jahre die Kompromissbereitschaft.
Wir entwickelten uns in unterschiedliche Richtungen und dieses Zauberwort verlor an Kraft. Gleichzeitig waren wir oft sprachlos und allein mit dem nagenden Gefühl, der andere versteht mich nicht oder: wenn der Partner anders wäre, dann wäre alles wunderbar.
Wir legten Atem-Pausen ein, vereinbarten gemeinsame Zeiten zum Reden, öffneten uns für Unterstützung. All das half uns, den Druck im Inneren zu entlasten. Wir stellten Regeln für eine bessere Kommunikation auf, suchten und pflegten besondere Augenblicke, die uns aneinander erinnerten.
Dennoch spürten wir beide, wie schnell wir einander triggern konnten und wie wir beide immer wieder auf gleiche Weise reagierten – meist mit Rückzug – mehr oder weniger lang. Uns in guten Phasen darüber auszutauschen, war enorm hilfreich und verkürzte die Rückzugsphasen.

Schon lange spürte ich, es gab etwas in mir, das mir half nicht zu resignieren, mutig und unterstützt weiterzugehen. Es gab eine Liebe in mir, die immer stärker wurde, die mir half, das in mir zu finden, was ich im außen – gerade auch bei meinem Mann – suchte. Ich nenne es Seele.
Ich begann meine Fragen, meine Gefühle, die Unsicherheiten und Zweifel, die ich zwischen mir und meinem Mann wahrnahm in die Arme meiner Seele sinken zu lassen und ich begann mehr bei mir zu bleiben, statt die Veränderungen bei meinem Mann herbeiführen zu wollen.
Folgende Frage wurde für mich sehr wichtig: was macht es gerade mit mir? Ich spürte, es gab häufig kindliche Anteile, die genau diese Gefühle schon gefühlt hatten, die ich heute wahrnahm. Ich entdeckte, wie heilsam es war, bei diesen Anteilen stehen zu bleiben, ihre Gefühle wahrzunehmen – ähnlich wie eine Mutter, die ihr weinendes Kind in den Arm nimmt und es hält, statt sich umzudrehen und das Kind in seinem Schmerz alleine zu lassen. Es waren Anteile, die sich vom Partner die Anerkennung wünschten, die sie schon ein Leben lang suchten. Es waren Anteile, die resigniert hatten, die überzeugt waren, dass sie niemand liebt, Anteile, die wütend und hilflos waren, Anteile, die voller Abwehr waren… Ich begann diesen Anteilen neue Wege zu zeigen, sie in diesem Halt in mir ankommen zu lassen, wo sie Liebe und Geborgenheit fanden.

Mein Mann konnte dieser Art von Bewusstseins-Arbeit nicht viel abgewinnen, solange ich versuchte es ihm zu erklären. Das änderte sich, als ich begann ihm von meinen Gefühlen zu erzählen. Statt groß und selbstbeherrscht zu sein (so wie ich es als Kind gelernt hatte), wurde ich ehrlicher meinem Mann gegenüber. Das half ihm auch mir gegenüber offener zu werden.

So ist unsere Beziehung, unsere Liebe ein großes Lern- und Übungsfeld geworden auf dem Weg zu mehr Selbst-Erkenntnis mit dem schönen „Nebeneffekt“, dass wir einander immer öfter tief und liebevoll in die Augen schauen können.
Wir haben beide immer wieder die Chance, die vielen Schichten an unerlösten Erfahrungen zu erkennen, die uns umgeben und die wir im alltäglichen Triggern entdecken. Lange standen sie wie ein dunkler Graben zwischen uns.
Ja, wir triggern uns immer noch, wir rutschen sogar in die alten Muster, aber jedes Mal, wenn wir das Tal durchschritten haben, wird das Miteinander bewusster, klarer, liebevoller und der Graben zwischen uns kleiner. Da, wo wir mitfühlend auf uns selber schauen können, wächst auch das Mitgefühl für den Anderen.

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